Die mit einem groben ärztlichen Behandlungsfehler verbundene Beweislastumkehr kann entfallen, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachtet, so eine mögliche Mitursache für den erlittenen Gesundheitsschaden setzt und dazu beiträgt, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann. Das hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.02.2018 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Arnsberg vom 11.04.2017 (Az. 5 O 34/15 LG Arnsberg) abgeändert.
Als Alleinerbin ihres im März 2015 im Alter von 45 Jahren verstorbenen Ehemanns verlangt die Klägerin aus Lippetal vom beklagten Krankenhausträger aus Soest Schadensersatz wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung ihres Ehemanns vor seinem Tode.
Der Hausarzt des Ehemanns wies diesen aufgrund des Verdachts auf eine „instabile Angina pectoris“ im Februar 2015 in das Krankenhaus der Beklagten ein. Nach ersten Untersuchungen, es bestand auch in der Klinik der Verdacht einer koronaren Herzerkrankung (Erkrankung der Herzkranzgefäße), verließ der Ehemann wenige Tage später gegen den ärztlichen Rat das Krankenhaus. Er äußerte seine Unzufriedenheit, dass am Wochenende keine weiteren ärztlichen Untersuchungen durchgeführt worden waren. Ca. zehn Tage später riet ihm der Hausarzt erneut zu einer dringenden Krankenhausbehandlung und wies ihn acht Tage später mit der Diagnose „Angina pectoris“ in ein anderes Krankenhaus ein, in dem sich der Ehemann vorstellte und in vier Tagen einen Termin zur kardiologischen Abklärung vereinbarte. Eine unmittelbare stationärer Aufnahme lehnte er ab. Noch vor dem vereinbarten Termin verstarb der Ehemann. Der Notarzt stellte als Todesursache „Herzversagen“ fest. Eine Obduktion erfolgte nicht.
Mit der Begründung, dass ihr Ehemann im Krankenhaus der Beklagten fehlerhaft behandelt worden sei, hat die Klägerin 2.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 4.550 Euro Beerdigungskosten sowie Unterhalt für sich und die1997 und 2002 geborenen Kinder der Eheleute in Höhe von monatlichen mindestens 5.000 Euro verlangt.
Das Klagebegehren ist erfolglos geblieben. Nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen hat der 26. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm die Klage abgewiesen. Der Klägerin komme, so der Senat, aufgrund des ganz erheblichen Mitverschuldens ihres verstorbenen Ehemanns keine Beweislastumkehr zugute. Deswegen könne sie nicht nachweisen, dass ihr Ehemann infolge festzustellender Behandlungsfehler im Krankenhaus der Beklagten an einer Herzerkrankung verstorben sei.
Grundsätzlich habe die Anhörung des medizinischen Sachverständigen mehrere, jedenfalls in ihrer Gesamtheit auch als grob zu bewertende Behandlungsfehler bei der Aufnahme und weiteren Behandlung des Verstorbenen im dem Krankenhaus ergeben. Nach der zugrunde zu legenden Dokumentation des Krankenhauses sei es im Rahmen der Anamnese versäumt worden, bei dem Ehemann, der einen erhöhten Cholesterinwert gehabt habe, das Rauchverhalten und den genauen Zeitpunkt, zu dem der Patient zum zweiten Mal Thorax-Schmerzen verspürt habe, zu erfragen. Dabei sei der Patient fälschlicherweise nicht als Risikopatient eingestuft und die Behandlung nicht darauf ausgerichtet worden. Deswegen sei es neben einer Reihe durchgeführter, gebotener Untersuchungen versäumt worden, einen zusätzlichen Blutwert (Troponinwert)zu bestimmen und ein weiteres EKG zu machen. Hinzu komme die versäumte Gabe eines blutverdünnenden, schmerzlindernden Arzneistoffes (ASS). Dessen Gabe entspreche bei bestehendem Verdacht auf eine akute koronare Herzerkrankung dem medizinischen Standard.
Im Rahmen der Beweisaufnahme habe allerdings nicht geklärt werden können, ob der Patient überhaupt an einem Herzinfarkt verstorben sei und ob die festgestellten Behandlungsfehler hierfür mitursächlich gewesen seien.
Der fehlende Nachweis gehe zulasten der Klägerin, der trotz der groben Behandlungsfehler keine Beweislastumkehr zugutekomme. Eine solche scheide nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.11.2004, Az. BGH VI ZR 328/03) aus, wenn ein Patient in vorwerfbarer Weise ärztliche Anordnungen oder Empfehlungen missachte, hierdurch eine mögliche Mitursache für seinen Gesundheitsschaden setze und dazu beitrage, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden könne.
Hiervon sei im vorliegenden Fall auszugehen: Der Ehemann der Klägerin habe sich nach dem ersten Krankenhausaufenthalt – entgegen dem Rat seines Hausarztes, der ihn auf die Risiken hingewiesen habe – nicht erneut in stationäre Behandlung begeben, sondern lediglich einen Termin zur kardiologischen Abklärung in einem Krankenhaus vereinbart. Da er bis zur weiteren Untersuchung verstorben sei, habe er in erheblichem Maße durch seine stetige Weigerung, sich entsprechend dem ärztlichen Rat zu verhalten, dazu beigetragen, dass sein Herzleiden nicht weiter abgeklärt und behandelt werden konnte.
Rechtskräftiges Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 02.02.2018 (26 U 72/17)
Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Hamm vom 30. April 2018