Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer ist über die Gründe der ordentlichen Kündigung seines Arbeitsvertrags zu informieren, wenn vorgesehen ist, dass Dauerbeschäftigten diese Information mitgeteilt wird.
Eine nationale Regelung, die vorsieht, dass nur Dauerbeschäftige über die Kündigungsgründe informiert werden, verstößt gegen das Grundrecht des befristet beschäftigten Arbeitnehmers auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der ein Arbeitgeber die ordentliche Kündigung eines befristeten Arbeitsvertrags nicht begründen muss, obwohl für die Kündigung eines unbefristeten
Arbeitsvertrags eine solche Begründungspflicht besteht. In diesem Fall wird dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer eine Information vorenthalten, die für die Beurteilung von Bedeutung ist, ob die Kündigung
ungerechtfertigt ist, und ob gegebenenfalls gerichtlich dagegen vorgegangen werden soll. Da diese Ungleichbehandlung das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt, hat das nationale Gericht, das über
einen Rechtsstreit zwischen Privatpersonen zu entscheiden hat, die nationale Regelung soweit erforderlich unangewendet zu lassen, wenn es diese nicht unionsrechtskonform auslegen kann.

Bei einem polnischen Gericht ist ein Rechtsstreit zwischen einem mittels befristetem Arbeitsvertrag angestellten Arbeitnehmer und seinem ehemaligen Arbeitgeber anhängig. Im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften hat der Arbeitgeber den Vertrag ohne Angabe von Kündigungsgründen ordentlich gekündigt. Der Arbeitnehmer macht geltend, dass die Kündigung ungerechtfertigt sei und führt aus, dass die fehlende Angabe von Kündigungsgründen gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoße, der sowohl im Unionsrecht als auch im polnischen Recht verankert sei. Denn bei der Auflösung von unbefristeten Arbeitsverträgen sei nach polnischem Recht die Mitteilung der Kündigungsgründe verpflichtend.

Das polnische Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob diese unterschiedlichen Kündigungsanforderungen je nach Art des betreffenden Arbeitsvertrags mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar sind. Außerdem stellt es die Frage, ob diese Vereinbarung auf einen Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anwendbar ist.

Der Gerichtshof weist in seinem Urteil darauf hin, dass die Rahmenvereinbarung durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern soll.

Wenn der befristet beschäftigte Arbeitnehmer nicht über die Gründe der Kündigung seines Vertrags informiert wird, wird ihm eine Information vorenthalten, die für die Beurteilung von Bedeutung ist, ob die Kündigung ungerechtfertigt ist. Ihm fehlt daher im Vorfeld eine Information, die für die Entscheidung über eine mögliche Klageerhebung ausschlaggebend sein kann. Das in Rede stehende polnische Recht begründet somit eine für befristet beschäftigte Arbeitnehmer nachteilige Ungleichbehandlung. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob sich der befristet beschäftigte Arbeitnehmer im vorliegenden Fall in einer vergleichbaren Situation befindet wie ein Arbeitnehmer, der vom selben Arbeitgeber unbefristet eingestellt wurde.

Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass die bloße temporäre Natur eines Beschäftigungsverhältnisses die schlechtere Behandlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer nicht rechtfertigt. Die mit dieser Form des Arbeitsvertrags verbundene Flexibilität wird durch die Mitteilung der Kündigungsgründe nicht beeinträchtigt.

Obwohl das nationale Gericht die volle Wirkung des Unionsrechts zu gewährleisten hat, ist es im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, die nationale Bestimmung nur deshalb auszuschließen, weil sie gegen die Rahmenvereinbarung verstößt. In einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen kann die Rahmenvereinbarung, die im Anhang einer Richtlinie enthalten ist, nämlich nicht zur Anwendung kommen. Die in Rede stehende Ungleichbehandlung verletzt jedoch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, das durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet wird. Wenn das anwendbare nationale Recht nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden kann, ist das nationale Gericht daher verpflichtet, die in Rede stehende nationale Regelung soweit unangewendet zu lassen, als es erforderlich ist, um für die volle Wirksamkeit dieses Grundrechts zu sorgen.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 20. Februar 2024 – C‑715/20 –
Vorinstanz: Sąd Rejonowy dla Krakowa-Nowej Huty w Krakowie (Rayongericht für Krakau‑Nowa Huta in Krakau, Polen), Vorabentscheidungsersuchen vom 11. Dezember 2020

Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Februar 2024